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Urteil Verwaltungsgericht (LU - S 92 177)

Zusammenfassung des Urteils S 92 177: Verwaltungsgericht

Die Versicherte B wurde bei einem Fahrradunfall verletzt und musste hospitalisiert werden. Die Krankenkasse A weigerte sich, die Kosten zu übernehmen, und verwies auf die Haftung der Eltern des Fahrradfahrers. Nach dem Tod von B forderte ihre Tochter D die Übernahme der Kosten, was von der Kasse erneut abgelehnt wurde. D reichte daraufhin eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein, um die Kasse zur Kostenerstattung zu zwingen. Das Gericht entschied, dass die Kasse die Kosten aus dem Unfall übernehmen muss, da die Haftung der Eltern des Fahrradfahrers nicht ausreichend war.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts S 92 177

Kanton:LU
Fallnummer:S 92 177
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Sozialversicherungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid S 92 177 vom 02.09.1994 (LU)
Datum:02.09.1994
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 333 Abs. 1 ZGB. Krankenkasse erklärt sich nach zweitem Rechtsschriftenwechsel bereit, die angefallenen Kosten im Rahmen ihrer Leistungspflicht zu übernehmen: Der Prozess kann dennoch nicht abgeschrieben werden. Subsidiarität der Kassenleistungen gegenüber Leistungen Dritter: Wieweit hat der Leistungsansprecher den Rechtsweg gegen den Dritten zu beschreiten, bevor die subsidiär haftende Kasse leistungspflichtig wird? In casu wurde Drittpersonenhaftung als Familienhaupt geltend gemacht. Bedeutung des Umstandes, dass ein 15jähriger Knabe mit einem Fahrrad ohne Kennzeichen eine Person anfährt und verletzt.
Schlagwörter: Eltern; Kasse; Schädiger; Verfügung; Krankenkasse; Fahrrad; Recht; Schädigers; Forderung; Unfall; Leistungspflicht; Umstände; Urteil; Familie; Vignette; Amtsgericht; Versicherung; Familienhaupt; Statuten; Zivilprozess; Schaden; Sorgfalt; Oftinger/Stark; Haftpflichtversicherung; Kantonsspital; Leistungen; Verwaltungsgericht; ässig
Rechtsnorm: Art. 18 SVG ;Art. 333 ZGB ;Art. 70 SVG ;
Referenz BGE:102 II 27; 103 II 26; 116 V 248; 95 II 259;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts S 92 177

A. - Die bei der Krankenkasse A gegen die Folgen von Krankheit und Unfall versicherte B wurde am 31. Mai 1990 vom 15jährigen C mit dem Fahrrad angefahren. Am Fahrrad konnte nach dem Unfall kein gültiges Kennzeichen (Vignette) festgestellt werden. B erlitt bei diesem Unfall Verletzungen, welche ihre Hospitalisierung im Kantonsspital bis 30. Juli 1990 erforderten. Das Kantonsspital stellte ihr dafür am 21. November 1990 Rechnung im Betrag von Fr. 12071.20. Als die Versicherte diese Kosten bei der Krankenkasse A geltend machte, teilte ihr diese mit Schreiben vom 17. Dezember 1990 mit, die Eltern des Fahrradfahrers hafteten aufgrund von Art. 333 ZGB. B müsse zuerst gegen diese vorgehen. Die Versicherte reichte daraufhin beim Amtsgericht eine Forderungsklage gegen die Eltern von C ein.

Am 20. Oktober 1991 verstarb B und hinterliess als Alleinerbin ihre Tochter D. Als diese die Übernahme der im Kantonsspital entstandenen Kosten von der Krankenkasse A verlangte, verneinte die Kasse am 3. April 1992 verfügungsweise ihre Leistungspflicht. Zur Begründung wurde festgehalten, gemäss Art. 35 der Kassenstatuten erfolge eine Deckung bei Unfall nur insoweit, als nicht eine andere Versicherung Drittperson für Heilungskosten Leistungen zu erbringen habe. Vorliegend hafte das Familienhaupt nach Art. 333 ZGB. Überdies wäre die gesetzliche Grundlage gegeben, den noch nicht mündigen, aber bereits urteilsfähigen Fahrradfahrer zu belangen.

B. - Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt D beantragen, die Verfügung vom 3. April 1992 sei aufzuheben und die Krankenkasse A sei zu verhalten, ihr die statutarischen Leistungen zu erbringen, insbesondere den Rechnungsbetrag des Kantonsspitals im Betrag von Fr. 12071.20 - zuzüglich allfälliger Zinsen - zurückzuerstatten.

Am 6. November 1992 wies das Amtsgericht die durch B erhobene Forderungsklage ab. Die Krankenkasse A teilte daraufhin deren Rechtsvertreter - mit Kopie an das Verwaltungsgericht - mit Schreiben vom 26. November 1992 mit, sie mute ihm kein Berufungsverfahren zu, sondern werde im Rahmen des bestandenen Versicherungsschutzes die angefallenen Spitalkosten übernehmen. Eine Übernahme der Kosten des Zivilverfahrens lehne sie ab, da nicht gesagt werden könne, die Kasse habe den Rechtsvertreter von B zu einem aussichtslosen Prozess veranlasst.

Mit Schreiben vom 29. September 1993 bestätigte die Kasse dem Verwaltungsgericht ihre Bereitschaft, die «angefallenen Kosten aus dem Verkehrsunfall vom 31. Mai 1990 im Rahmen ihrer Leistungspflicht (ohne weitere Berufung auf die Subsidiärklausel) zu übernehmen». Sie hielt aber daran fest, dass die angefochtene Verfügung vom 3. April 1993 aufgrund der Umstände zu Recht erlassen worden sei. Verfahrensrechtlich sei die Angelegenheit abzuschreiben.

Aus den Erwägungen:

1. - a) b) . . .

c) Es stellt sich die Frage, welche prozessuale Bedeutung dem Umstand zukommt, dass sich die Krankenkasse nach dem zweiten Rechtsschriftenwechsel bereit erklärt hat, die angefallenen Kosten aus dem Verkehrsunfall im Rahmen ihrer Leistungspflicht zu übernehmen, und den Antrag stellt, der Prozess sei wegen Gegenstandslosigkeit abzuschreiben, ohne dass der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zukomme.

Der vorliegende Prozess kann entgegen der Auffassung der Kasse nicht als erledigt abgeschrieben werden. Ansonsten würde immer noch die angefochtene - leistungsverneinende - Verfügung vom 3. April 1992 im Raum stehen und in Rechtskraft erwachsen. Es muss daher noch darüber entschieden werden, ob diese Verfügung rechtmässig ist aufgehoben werden muss, d.h. ob die Kasse tatsächlich von Gesetzes wegen aufgrund ihrer Statuten verpflichtet werden kann, die Spitalkosten zu übernehmen. Dabei ist zu beachten, dass der Sozialversicherungsrichter die Gesetzmässigkeit der angefochtenen Verfügung nach ständiger Rechtsprechung in der Regel nach dem Sachverhalt beurteilt, der zur Zeit des Verfügungserlasses gegeben war (BGE 116 V 248 Erw. 1a mit Hinweisen).

Von der Frage, ob die angefochtene Verfügung gesetzmässig ist, hängen im übrigen auch die noch offenen beschwerdeführerischen Anträge auf «allfällige Zinsen» und auf Parteientschädigung ab.

2. - a) Die Statuten der Krankenkasse enthalten in Art. 35 Abs. 1 folgende Bestimmung:

«Hat bei Krankheit Unfall eine andere Versicherung Drittperson, aus Vertrag Gesetz: Zivilgesetzbuch (ZGB), Obligationenrecht (OR), Strassenverkehrsgesetz (SVG), für Heilungskosten Leistungen zu erbringen, hat sich die Kasse nur mit den ungedeckten Kosten nach Statuten zu befassen.»

Diese Bestimmung, mit welcher die Kasse ihre Leistungen für subsidiär erklärt und davon abhängig macht, dass kein Dritter für die entstandenen Heilungskosten aufzukommen hat, ist gesetzmässig. Das hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in seinem Urteil H. vom 14. September 1993 erneut bestätigt. Zu prüfen bleibt, ob die Kasse diese Statutenbestimmung im Falle der Beschwerdeführerin zu Recht angewendet hat.

b) Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat im angesprochenen Urteil H. weiter ausgeführt, dass unter den in Art. 35 Abs. 1 der Kassenstatuten genannten «ungedeckten Kosten» solche zu verstehen sind, die, nötigenfalls unter Inanspruchnahme des Rechtsweges, nicht gedeckt werden. Wird die Leistungspflicht vom haftpflichtigen Dritten bestritten, ist der Rechtsweg soweit zu beschreiten, wie dies für den Ansprecher zumutbar ist. Dabei hängt die Zumutbarkeit von den Umständen des Einzelfalles ab, zum Beispiel davon, ob das Recht vor einem nahegelegenen vor einem weitabgelegenen Gericht zu suchen ist, wie die Erfolgsaussichten stehen, in welcher Sprache der Prozess zu führen ist mit welchen Kosten zu rechnen ist (EVG-Urteil H. vom 14.9.1993, Erw. 3c).

3. - Die Kasse ging in der angefochtenen Verfügung davon aus, dass die Eltern des Schädigers nach Art. 333 ZGB haftbar seien. Die Kasse machte geltend, die Beschwerdeführerin habe gestützt auf diese Bestimmung einen Zivilprozess gegen die Eltern des Fahrradfahrers zu führen. Die entsprechenden Prozesschancen seien sehr gut. Auch die Einbringlichkeit einer gerichtlich zugesprochenen Forderung sei gegeben. Die Einbringlichkeit einer Forderung gegen den Schädiger selber bezeichnete die Kasse - welche dessen Haftbarkeit an sich bejahte - kurzfristig als schlecht.

a) Zunächst ist mit der Kasse davon auszugehen, dass aufgrund des jugendlichen Alters des Schädigers eine Forderung gegen diesen kaum als einbringlich betrachtet werden konnte. Die Leistungspflicht der Kasse könnte daher im Sinne von Art. 35 Abs. 1 ihrer Statuten höchstens gegenüber der allfälligen Haftung der Eltern des Schädigers nach Art. 333 ZGB als subsidiär betrachtet werden. Das heisst, es ist zu prüfen, inwiefern und inwieweit es der Versicherten B bzw. der Beschwerdeführerin als deren Erbin zumutbar war, gestützt auf Art. 333 ZGB den Rechtsweg gegen die Eltern des Schädigers zu beschreiten.

b) Nach Art. 333 Abs. 1 ZGB haftet das Familienhaupt für den durch einen unmündigen Hausgenossen verursachten Schaden, insofern es nicht darzutun vermag, dass es das übliche und durch die Umstände gebotene Mass von Sorgfalt in der Beaufsichtigung beobachtet hat.

Die Haftung des Familienhauptes setzt kein Verschulden von dessen Seite von seiten des schädigenden Hausgenossen voraus. Es handelt sich dabei nach heute vorherrschender Auffassung vielmehr um eine Kausalhaftung (BGE 103 II 26). Voraussetzung für diese ist, dass der Hausgenosse einem Dritten widerrechtlich und adäquat kausal Schaden zugefügt hat. Die Haftung entfällt, wenn ein allgemeiner Entlastungsgrund (höhere Gewalt, Selbstverschulden, Drittverschulden) gegeben ist wenn das Familienhaupt nach Art. 333 Abs. 1 ZGB nachweist, dass es die erforderliche Sorgfalt in der Beaufsichtigung des schadenstiftenden Hausgenossen aufgewendet hat. Das Familienhaupt trifft die Beweislast dafür, dass es die gebotene Sorgfalt gewahrt hat (Meier-Oswald Elisabeth, Haftpflichtrecht für ausservertragliche Schädigungen durch Kinder, Diss., Zürich 1991, S. 51; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, Bd. II/1, S. 447 ff.). Es wird ein objektiv umschriebenes Mass von Sorgfalt verlangt. Dieses Mass beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles, nicht nach abstrakten Grundsätzen; es ist von Fall zu Fall verschieden. Die Aufsichtspflicht ist also relativ. Zu berücksichtigen sind insbesondere Alter und Charakter des Kindes - und damit der Grad seiner Reife (Oftinger/Stark, a.a.O., S. 454) -, ferner das soziale Milieu, lokale Gegebenheiten und Art und Weise, wie - d.h. mit welchem Instrument - der Schaden verursacht wurde (BGE 102 II 27, 100 II 301, 79 II 353; Meier-Oswald, a.a.O., S. 52). Dabei sind der Sorgfalt des Familienhauptes vernünftigerweise Grenzen zu ziehen (Oftinger/Stark, a.a.O., S. 452). Von den Eltern darf - zumindest von einem gewissen Alter der Kinder an - keine dauernde Beaufsichtigung verlangt werden (BGE 95 II 259 f., 79 II 264). Überhaupt dürfen sich Kinder von einem gewissen, freilich nicht einheitlich zu bestimmenden Alter an allein bewegen und beispielsweise zum Spielplatz, zum Verkaufsladen, zum Handwerker gehen, dies jedenfalls schon in einem früheren Alter als dem 16. Jahr (Oftinger/Stark, a.a.O., S. 453 mit FN 204). Von einer Pflicht zur ständigen Überwachung kann daher keine Rede sein; es sei denn, es bestehe wegen Vorliegens besonderer Umstände Grund zur Annahme, das Kind könne Dritten Schaden zufügen, z.B. wegen augenblicklicher Unaufmerksamkeit, wegen erkennbarer Ungeschicklichkeit wegen gefährlicher Gewohnheiten und Neigungen, wie etwa Geschwindigkeitsexzessen mit dem Fahrrad (Oftinger/Stark, a.a.O., S. 452 und 459 mit Hinweisen).

c) Im vorliegenden Fall hat der Schädiger mit seinem Fahrrad B angefahren und dadurch deren Verletzungen verursacht, die zur Hospitalisation und damit zu den hier streitigen Kosten führten. Es steht unbestritten fest, dass dieses Verhalten widerrechtlich war und dass der Schädiger dadurch adäquat kausal B Schaden zugefügt hat, nämlich - soweit vorliegend relevant - die entstandenen Hospitalisationskosten.

Fahrräder müssen nach Art. 18 Abs. 1 SVG ein Kennzeichen (Vignette) tragen, welches abgegeben wird, wenn die nach Art. 70 Abs. 2 SVG vorgeschriebene Haftpflichtversicherung besteht. Gemäss Art. 34 Abs. 1 Verkehrsversicherungsverordnung (VVV) erbringt das am Fahrrad befestigte Fahrradkennzeichen (Vignette) bis zum Ablauf der Gültigkeitsdauer den Nachweis der gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung.

Am Fahrrad des Schädigers konnte nach dem Unfall keine solche Vignette festgestellt werden, weshalb es nicht möglich war, eine (Fahrzeug-)Haftpflichtversicherungsgesellschaft für die B erwachsenen Hospitalisationskosten zu belangen.

d) Zunächst ist festzuhalten, dass B zum massgebenden Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung vom 3. April 1992 bereits beim Amtsgericht Klage gegen die Eltern des Schädigers eingereicht hatte (Klage vom 10. September 1991). Mehr konnte die Krankenkasse von der Versicherten an sich nicht verlangen.

Zu beachten ist aber insbesondere, dass die Chancen dieser Klage aufgrund der Umstände als gering einzustufen waren. Diese Einschätzung rechtfertigt sich, auch ohne zu berücksichtigen, dass das Amtsgericht die Klage in der Folge mit Urteil vom 6. November 1992 abgewiesen hat. Der Schädiger war nämlich zum Unfallzeitpunkt bereits 15 Jahre alt. Bei einem 15jährigen Jugendlichen darf hinsichtlich Beaufsichtigung bei realitätsgerechter Betrachtungsweise zum vorneherein nicht zuviel verlangt werden. Wie auch das Amtsgericht in der Begründung seines Urteils mit Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung und die Lehre zutreffend ausführt, ist ein Jugendlicher mit 15 Jahren üblicherweise in der Lage, ein Fahrrad sicher zu führen. Es kann von den Eltern nicht erwartet werden, dass sie ihn dabei dauernd beaufsichtigen. Gelegentliche Ermahnungen zur Vorsicht und Rücksichtnahme sowie Hinweise auf Verkehrsregeln und Gefahren müssen genügen. Dabei liegt es auf der Hand, dass entsprechende Behauptungen im Zivilprozess von den Eltern leicht bewiesen werden können. Bei einem 15jährigen und damit bald erwachsenen Jugendlichen darf zudem davon ausgegangen werden, dass er nicht nur um die Pflicht weiss, dass eine Vignette am Velo zu befestigen ist, sondern auch reif und verantwortungsbewusst genug ist, sich selber um ein solches Kennzeichen zu kümmern. Von den Eltern kann nicht verlangt werden, dass sie sich ständig über das Vorhandensein einer Vignette am Fahrrad des Sohnes vergewissern. Wie das Amtsgericht in diesem Zusammenhang überdies richtig darlegt, musste der Schädiger im vorliegenden Fall als Schüler einer Schweizer Schule aufgrund der dort erhaltenen Verkehrsinstruktionen sogar noch eher um die Vorschriften betreffend Velovignette wissen als seine Eltern, welche sich als Gastarbeiter in der Schweiz aufhalten. Unter den gegebenen Umständen waren die Erfolgsaussichten des auf Art. 333 Abs. 1 ZGB gestützten Prozesses gegen die Eltern des Schädigers bereits bei Erlass der angefochtenen Verfügung als schlecht zu bezeichnen. Es stand schon damals zu erwarten, dass den Eltern der Entlastungsbeweis gelingen würde. Schon aus diesem Grund war es B nicht zumutbar, einen solchen Prozess anzustrengen. Art. 35 Abs. 1 der Kassenstatuten kommt daher nicht zur Anwendung.

e) Im übrigen sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit, einen Zivilprozess anzustrengen, auch die persönlichen Verhältnisse der geschädigten Person nicht völlig ausser acht zu lassen. B war beim Erlass der angefochtenen Verfügung vom 3. April 1992 knapp 88 Jahre alt. Es erscheint von einer verwitweten Person dieses Alters recht viel verlangt, noch einen Zivilprozess in einer Haftpflichtsache anstrengen zu müssen, selbst wenn sie einen Anwalt beiziehen kann.

f) Hinzu kommt, dass auch Fragezeichen dazu anzubringen sind, ob eine allenfalls gerichtlich zugesprochene Forderung gegen die Eltern des Schädigers überhaupt einbringlich gewesen wäre. So musste die Einbringlichkeit einer haftpflichtrechtlichen Forderung gegenüber den Eltern des Schädigers wohl als wesentlich zweifelhafter betrachtet werden, als gegenüber einer Haftpflichtversicherung. In diesem Sinne präsentiert sich die Sachlage hier anders, als im mehrfach angesprochenen Urteil H. des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 14. September 1993: Dort wurde die Forderung der Krankenkasse geschützt, die Witwe des geschädigten Versicherten habe zuerst gegen eine - im Gegensatz zum vorliegenden Fall bestimmbare - Haftpflichtversicherung vorzugehen. Im genannten EVG-Urteil hatte die Krankenkasse der Witwe des Versicherten überdies einen Kostenvorschuss für den Zivilprozess geleistet, was vorliegend offensichtlich nicht der Fall war. Ob die Eltern des Schädigers vorliegend im Betreibungsregister verzeichnet sind nicht - die Krankenkasse A schneidet dieses Thema an -, ist von sekundärer Bedeutung. Eine Forderung von immerhin rund Fr. 12000.- kann durchaus eine Familie, welche bislang ihre Lebensweise so gestaltet hat, dass nur erfüllbare finanzielle Verpflichtungen eingegangen wurden, in finanzielle Bedrängnis bringen deren Möglichkeiten gar übersteigen und damit die Einbringlichkeit einer entsprechenden Forderung in Frage stellen. Zu beachten ist vorliegend schliesslich, dass es sich dabei um eine Gastarbeiterfamilie handelte, was ohnehin für eher bescheidene finanzielle Verhältnisse spricht.

g) Nach dem Gesagten ist die angefochtene Verfügung vom 3. April 1992 als rechtswidrig zu bezeichnen und aufzuheben. Die Kasse ist verpflichtet, die Kosten aus dem Unfall vom 31. Mai 1990 im Rahmen ihrer Leistungspflicht zu übernehmen.

In teilweiser Gutheissung der Beschwerde hob das Verwaltungsgericht die Verfügung vom 3. April 1992 auf und nahm davon Vormerk, dass die Krankenkasse A sich bereit erklärt hatte, die Kosten aus dem Unfall vom 31. Mai 1990 im Rahmen ihrer Leistungspflicht zu übernehmen.
Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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